5. Zukünftige Entwicklungen
1999 initiierte die NASA und ihre Partner ein weiteres Verbesserungsprogramm,
um die Sicherheit des Space Shuttles weiter zu erhöhen. Dabei stehen bei den
Haupttriebwerken die Verbesserung der Sicherheit der einzelnen
Triebwerkskomponenten, das Erreichen eines höheren Schubs für Abort-Szenarien
sowie Verbesserungen des Wartungsaufwandes und der Haltbarkeit im Vordergrund.
Zur weiteren Erhöhung der Triebwerkssicherheit sollen die Komponenten mit
der höchsten Fehlerwahrscheinlichkeit verbessert werden. Diese sind die
Hochdruck-Turbopumpen, die Hauptbrennkammer und die Triebwerksdüse. Für die
Turbopumpen soll eine verbesserte Vibrationsüberwachung eingeführt werden, das sogenannte
Advanced Health Management System (AHMS).
Derzeit ist das Advanced Health Management System (AHMS)
die einzige Weiterentwicklung, die finanziert ist und entwickelt wird. Das AHMS wird
das triebwerkabhängige Steigflugrisiko um etwa 40 % vermindern.
In Phase 1 erfolgte die Entwicklung eines neuen Triebwerks-Controllers
(Advanced Space Shuttle Main Engine Controller). In Phase 2 soll dann ein Health
Management Computer hinzukommen. Dieses System wird schließlich in der Lage sein,
innerhalb von Sekundenbruchteilen noch so geringe Abweichungen in der
Triebwerksfunktion aufzuspüren. Es wird die Antriebswerte analysieren und gegebenenfalls
das Triebwerk sicher abschalten können. Dazu werden digitale Signalprozessoren verwendet, die
echte Rotorimbalacen von falschen Sensorwerten unterscheiden können.
Die Entwicklung des AHMS begann im Jahr 1999. Im Oktober 1999 wurde das Projekt von der
Space Shuttle Programm-Anforderungs-Kontroll-Kommission (Space Shuttle Programm Requirements
Control Board - PRCB) bestätigt. Nach intensiver
Arbeit an der Konfiguration fand im November 1999 die Systemanforderungsüberprüfung (System
Requirements Review - SRR) statt. Im Anschluß daran entwickelte die Firma Honeywell Inc.,
die den Controller herstellt, Design-Konzepte für die Phase 1 und stellte diese dann
am 6. April 2000 auf der Programmdefinitionsüberprüfung (Program Definition Review - PDR)
vor. Im Februar 2001 sollte dann die kritische Designüberprüfung (Critical Design Review
- CDR) stattfinden.
Die Space Shuttle Programm-Anforderungs-Kontroll-Kommission gab im Januar 2000 grünes Licht
für die initiale Entwicklung der Komponenten der Phase 2. In Phase 2A wurden hier die
Anforderungen definiert. Die Systemanforderungsüberprüfung (SRR) für den Prototypen
des Health Management Computers (HMC) fand im März 2000 statt. Ein SRR für den Experimentalflug
eines optischen Abgas-Anomalie-Detektors (Optical Plume Anomaly Detection - OPAD) wurde
im Juli 2000 erfolgreich absolviert. PDRs
sowohl für den HMC als auch für das OPAD waren im November 2000 geplant. Die Entscheidung für
die endgültige Konfiguration des HMC sollte im März 2001 stattfinden.
Ziel war der Erstflug für Phase 1 im Jahre 2004 und für Phase 2 im Jahr 2006. Durch das
Columbia-Unglück kam es nun zu Verzögerungen und der neue Zeitplan ist nicht
bekannt.
Die Entwicklungskosten sollten ursprünglich 54,5 Mio $ betragen. Geplant sind jetzt
bereits 57,2 Mio $ (Budgetplanung 2004).
In der Phase 1 wurde der Controller so modifiziert, daß neuartige digitale
Prozessortechnologie, externe Kommunikationsports für den späteren Health Management
Computer und neue Software eingeführt werden.
Zusätzliche hitzefestere Speicher verdoppeln die Speicherkapazität der
Controller von 64K auf 128K.
Diese Neuheiten werden es dem Controller dann ermöglichen, anormale Vibrationen
der Hochdruck-Turbopumpen festzustellen und bei überschreiten von bestimmten
Grenzwerten, das Triebwerk abzuschalten.
Die Phase 2 sieht die Entwicklung und Produktion eines neuen Health Management Computers vor.
Dieser Computer besteht aus zwei Untersystemen, die zur Überwachung der exakten Triebwerksfunktion
zusammenarbeiten.
Das erste dieser Subsysteme, das Advanced Real Time Vibration Monitoring System ermöglicht
durch Vergleiche aktueller Triebwerksdaten mit bekannten Fehler-Szenarien besseren Einblick
in Vibrationsanomalien der Turbopumpen. Dies erlaubt die Einführung vorbestimmter
Gegenmaßnahmen wie Schubdrosselung, Abschaltung oder Weiterbetrieb der Triebwerke mit korrigierten
Triebwerkseinstellungen. Ein Teil des Systems, das Realtime Vibration Monitoring System wurde
bereits erfolgreich
auf der Mission STS-96 im Dezember 1999 getestet. Dabei konnte gezeigt werden, daß es
möglich ist, während des Fluges die Leistungen der Hochdruck-Turbopumpen in Echtzeit
zu messen und zu analysieren.
Das zweite Subsystem, das lineare Triebwerksmodell, wurde ursprünglich für die Auswertung
von Triebwerksdaten nach den Flügen oder Brenntests genutzt, um Leistungsanomalien der
Triebwerke zu erkennen und zu quantifizieren. Die Flugversion des Modells soll jedoch
aktuelle Triebwerksdaten kontinuierlich mit vorberechneten Daten vergleichen, um die exakte
Triebwerksfunktion einzuschätzen. Abweichungen werden mit bekannten Fehlern verglichen, was
dem System erlaubt, Leistungsanomalien festzustellen. Zwei Haupteigenschaften des linearen
Triebwerksmodells sind die Möglichkeit, mehrere gleichzeitig auftretende Fehler festzustellen,
und die Möglichkeit, Abweichungen mit hoher Sicherheit Fehlern zuordnen zu können.
Geplante Weiterentwicklungen
Triebwerksdüse
In nächster Zeit stehen noch weitere Verbesserungen im Blickpunkt der Ingenieure.
Zu ihnen gehört die Triebwerksdüse. Sie ist die einzige Triebwerkskomponente, die
bisher noch nicht wesentlich verbessert wurde. Die weiterentwickelte Düse mit
gefrästen Kanälen und hartverlötetem Mantel wird wegen wesentlich verminderter
Fehleranfälligkeit um 50 % zuverlässiger sein als die bisherige Düse. Ein
signifikanter Vorteil wird durch die Einführung eines zweiwegigen Kühlkreislaufes
erreicht, wodurch die Kühlungsversorgungsleitungen und der Einlaßkrümmer am
hochbelasteten Düsenende wegfallen. Interessanterweise gehörte das zweiwegige
Kühlsystem bereits zum ursprünglichen Design 1972, wurde dann aber gestrichen.
Ein zusätzlicher Vorteil ist die Verringerung der Produktionszeit von 36 auf 24 Monate,
wodurch auch die Kosten reduziert werden. Die sogenannte Kanalwanddüsen haben eine
glatte innere Oberfläche im Gegensatz zu den bisherigen Röhrendüsen. Die verminderte
Reibung erhöht voraussichtlich den spezifischen Impuls des Triebwerks um etwa 0,5
Sekunden. Eine neue Düse bietet die Möglichkeit, eine neue Dichtung an der Verbindung
zur Hauptbrennkammer einzuführen und das Hitzeschutzsystem der Düse widerstansfähiger
zu machen und damit den Wartungsaufwand zu reduzieren.
Hauptbrennkammer
Ein neues Design der Hauptbrennkammer reduziert ebenfalls die Fehlerwahrscheinlichkeit um 50 %
durch neue Herstellungsverfahren, welche die Heißverlötung (hot-isostatic pressure - HIP)
nutzen. Die derzeitige Hauptbrennkammer wird durch einen Elektroanlagerungsprozeß
hergestellt, der länger dauert, mehr potentielle Fehlerursachen hat und mehr
Überwachung bei der Herstellung erfordert. Ein bedeutender Aspekt der neuen Hauptbrennkammer
würde der größere Durchmesser der Brennkammer sein, der dazu führt, daß die Belastungen
während des Triebwerksbetriebes deutlich reduziert werden können und die Zuverlässigkeit
und Lebensdauer anderer Triebwerkskomponenten, besonders der Hochdruck-Turbopumpen,
verlängert werden.
Wartungsfreundlichkeit der Triebwerke
Die Wartungsfreundlichkeit der Triebwerke zu erhöhen und sie zwischen den einzelnen Flügen nicht
mehr aus dem Shuttle auszubauen, ist das Ziel für künftige Weiterentwicklungen. Denn wenn
die Notwendigkeit entfällt, die Triebwerke zu öffnen und die Komponenten zu inspizieren,
wird das Risiko des Einschleppens von Fremdobjekten, die Leckagen hervorrufen oder
andere Schäden anrichten können, reduziert. Durch integrierte Überwachungssysteme
mit neuen Sensoren zur Leckagedetektion, Geschwindigkeitssensoren, die Drehmomentdaten der Turbopumpen
beim Herunterdrehen liefern und spektrometrische Messungen des Abgasstrahles der Triebwerke,
die Abnutzungen des Material nachweisen können, können Inspektionen zwischen den einzelnen
Flügen vermindert werden. Technologien, die räumliche Temperaturmessungen des heißen Gases
in den Turbinen ermöglichen, könnten invasive Inspektionen der Turbinen und die Suche nach Beschädigungen,
welche durch Abgasanomalien hervorgerufen wurden, überflüssig machen.
Veränderungen für Triebwerksbetrieb mit erhöhtem Schub
Die Space Shuttle Main Engines sind für einen Schublevel von maximal 109 % zertifiziert.
Dies schließt Tests der Triebwerke bei 111 % in den Zertifizierungsprozeß ein. Derzeit
laufen Studien, die einen höheren Schubbedarf der Space Shuttle in Zukunft beinhalten,
um Abbruchszenarien während des Steigfluges realisieren zu können (ATO- oder
TAL-Verfügbarkeit bereits nach dem Abheben von der Startrampe).
Die erste Studie befaßt sich mit der Schubleistung der gegenwärtig eingesetzten
Block 2-Triebwerke. Eine zusätzliche Studie untersucht, welche Veränderungen in eine
zukünftige "Block X-Konfiguration" eingeführt werden müssen. Obgleich Veränderungen
vom erforderlichen Schub abhängen, werden folgende Komponenten als verbesserungswürdig
angesehen:
- Hauptinjektor mit robusten Flüssigsauerstoff-Einspritz-Düsen
- vergrößerte Hauptbrennkammer mit reduzierten Temperaturen und Drücken
- Niederdruck-Turbopumpen der zweiten Generation mit integriertem Rotor-Stator-
System aus einem Stück, robusteren Dichtungen und Lagern
- Hochdruck-Turbopumpen der dritten Generation aus wasserstoffresistenteren
Materialien, verbesserten Meßgeräten der Betriebstemperatur, nichtinvasiver
Umdrehungszahlmessung und hydrostatischen Lagern.
Quellen:
Worlund, A.L. und J.H. Hastings: Space Shuttle Main Engine Evolutions, 2001
Jue, F. und F. Kuck: Space Shuttle Main Engine: Options for the Future Shuttle, 2002
Jue, F.: Space Shuttle Main Engine - Thirty Years of Innovation,
letztes Update: 6. Mai 2005, 21:14:55