Der Countdown für einen Raumfährenstart beginnt in der Regel drei Tage vor dem geplanten
Starttermin bei T - 48 Stunden. Die Countdown-Uhr wird zu bestimmten Zeiten, den sogenannten "Holds" angehalten,
um auf aktuelle Entwicklungen technischer Art oder des Wetters reagieren und die Startzeit gegebenenfalls anpassen
zu können. Dabei gibt das Minus bei T - 48 Stunden einen Zeitpunkt vor dem Start an. Nach einem Start gibt T + xx
Stunden einen Zeitpunkt während des Fluges an.
Während des Countdowns werden die einzelnen Systeme der Raumfähre letzten Funktionstests
unterzogen und auf Start und Flug vorbereitet.
Main Engine Control Room
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Alle Prozeduren an den Haupttriebwerken werden vom Main Engine Control Room aus geleitet und
überwacht. Dieser befindet sich in einem Hochsicherheitsgebäude der Firma Rocketdyne in Canoga Park nördlich von
Los Angeles. Hier sitzen an jedem Starttag acht Ingenieure in einer mini Mission Control vor dem Halbrund ihrer
Konsolen und Bildschirme. Die Ingenieure überwachen die Haupttriebwerke bei der Durchführung der Selbsttests und dem
Herunterkühlen vor dem Start. Das Herunterkühlen ist nötig, um eine Zerstörung der Triebwerke durch die superkalten
Treibstoffe bei der Zündung zu vermeiden. Die Ingenieure haben jeder spezifische Aufgaben und entsprechende Namen. Sie
sind Turbomaschinerie-Ingenieur, Instrumenten-Ingenieur, Avionik-Ingenieur, Software-Ingenieur,
Leistungsanalyse-Ingenieur, Hauptingenieur und Team Manager. Alle überwachen unterschiedliche Bildschirme und Daten.
Der verantwortliche Ingenieur der Boeing Launch Support and Mission Operations ist Dean Patmor.
Er ist eine der Stimmen, die während des Countdowns zu hören sind. Eine Stimme, die die Macht hat, zu sagen: "Go" oder
"No Go".
Die Ingenieure überwachen auch den Ladevorgang der Treibstoffe in den großen Außentank. Dieser
komplexe Ladevorgang beginnt 9 Stunden vor dem Start bei T - 5 Stunden 50 Minuten. Während des Betankungsvorgangs
melden 3.000 Sensoren 25 mal in der Minute ihre Daten an den Kontrollraum, wobei jede einzelne Triebwerksfunktion
überprüft wird. Diese Real-Time-Daten vom Shuttle auf der Startrampe werden dann in einer Trendanalyse mit
historischen Daten früherer Starts desselben Triebwerks verglichen, um ungewöhnliche Daten herauszufiltern, die eine
Fehlfunktion anzeigen und möglicherweise ein Abschalten der Triebwerke notwendig machen würden.
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Während die Ingenieure die Daten vergleichen, können sie Probleme aufspüren und korrigieren.
Auch andere Vorgänge wie Status der Startrampe, Startbereitschaft des Shuttles oder Wetterbedingungen, die die
Triebwerke betreffen können, werden von ihnen berücksichtigt. Da die Daten für die Trendanalyse sehr schnell verfügbar
sein müssen, wurden zur Speicherung nach längerer Suche im Jahr 2000, Systeme der Firma Qualstar ausgewählt.
Das Qualstar TLS-412360 kann 360 Bänder mit bis zu 18 Terabyte Daten (36 Terabyte komprimiert) aufnehmen.
Startvorbereitungsphase
In der Startvorbereitungsphase werden die Triebwerke durch Säuberung der Leitungen und
Herunterkühlung auf kryogene Temperaturen auf ihre Zündung vorbereitet. In dieser Phase laufen vier
Triebwerksspülungssequenzen unterschiedlicher Länge ab, die sämtliche Feuchtigkeit und Fremdstoffe aus den
Treibstoffleitungen entfernen.
Zu Beginn der Startvorbereitungsphase wird die Sauerstoffseite der Triebwerke mit trockenem
Stickstoff gespült, um Feuchtigkeit zu entfernen. Die Wasserstoffseite wird mit trockenem Helium gespült, um sowohl
Luft als auch Feuchtigkeit aus den Leitungen zu entfernen. Dies erfolgt deshalb, weil der flüssige Wasserstoff mit
einer Temperatur von - 252,8 °C Luft zu einen festen Block aus Eis gefrieren kann. Nachdem das Triebwerk ausreichend
gespült wurde, wird es durch die Einleitung von Flüssigsauerstoff und Flüssigwasserstoff heruntergekühlt. In dieser
Phase wird das Wasserstoffsystem bis zum Hauptwasserstoffventil gefüllt. Ein kleiner Rückfluß erfolgt über ein
Entleerungsventil, das sich am Hauptwasserstoffventil befindet, zu einer Ablaßleitung außerhalb der Startrampe oder
wird zum Wasserstoffeinlaß zurückgepumpt. Im Sauerstoffsystem erfolgt die Füllung mit Flüssigsauerstoff bis zu den
beiden Vorbrennersauerstoff- und dem Hauptsauerstoffventil. Der Rückfluß erfolgt über ein Entleerungsventil am
Wasserstoffvorbrenner-Sauerstoffventil zu einer Ablaßleitung außerhalb des Orbiters.
Während des Kühlvorgangs überwacht der Main Engine Controller (MEC) das Triebwerk, um sicherzustellen,
daß sich alle Ventile in der richtigen Position befinden. Er überprüft zur Sicherstellung des Betriebes und Beibehaltung
der Redundanz alle Triebwerksparameter 50 Mal in der Sekunde.
Im Einzelnen verläuft diese Phase wie folgt:
Bei T - 06:30 Stunden beginnt die erste Spülsequenz, die 4 Minuten dauert. Während dieser
Zeit werden erste Spülungen der Sauerstoffleitungen und der Zwischendichtung der Hochdruck-Sauerstoff-Turbopumpe mit
Stickstoff aus Reservoiren in der Startrampe durchgeführt. Außerdem werden alle Treibstoffventile geschlossen und
einige Kontrollventile von der Energieversorgung getrennt (11).
Bei T - 06:26 Stunden beginnt die Spülsequenz No. 2 und dauert 3 Minuten.Neben der Spülung
der Sauerstoffseite
werden nun auch die Leitungen der Wasserstoffseite mit Helium aus Tanks im Orbiter gespült. 200 Millisekunden nach
Beginn der Sequenz wird über Drucksensoren der Beginn der Spülung überprüft.
Bei T - 06:23 Stunden beginnt Spülsequenz No. 3. In dieser Phase beginnt das Herunterkühlen der Triebwerke und
der Ladevorgang des großen Außentanks. Die Überlaufventile der Sauerstoff- und der Wasserstoffseite werden geöffnet
(Bleed-Valve-Operations) und die Heliumspülung der Wasserstoffseite vorerst beendet. Die Heliumspülung wird nachfolgend
nach jeweils 60 Minuten für 3 Minuten wiederholt. Nach 200 Millisekunden wird die Beendigung der Heliumspülung
und nach 600 Millisekunden die Öffnung des Wasserstoff-Überlaufventils zweifach durch Sensoren überprüft.
Bei T - 05:50 Stunden beginnt die Beladung des großen Außentanks mit Wasserstoff mit der langsamen Füllphase,
die dann in eine schnelle Füllphase übergeht. Gleichzeitig werden die Leitungen des Main Propulsion Systems (MPS) bis
zum Wasserstoff-Vorventil befüllt. Hier beginnt auch die Herunterkühlung der Wasserstoffseite. Das geschieht dadurch,
daß über die Wasserstoff-Rezirkulationspumpe jeden Triebwerks und das dazugehörige Ventil geringe Mengen Wasserstoffs
in das Triebwerk eingeleitet werden. Dieser fließt durch die Niederdruck- und Hochdruck-Wasserstoff-Pumpen bis zum
Hauptwasserstoffventil. Der Wasserstoff verläßt das Triebwerk über das Überlaufventil (Bleed-Valve) in die
Rezirkulationsleitung und wird letztlich in den großen Außentank geleitet (300). Am Ende der dritten Spülsequenz ist
das Triebwerk bis zum Hauptwasserstoffventil mit
Flüssigwasserstoff gefüllt. Über das Wasserstoff-Überlaufventil wird entstehender gasförmiger Wasserstoff zu einer
Abbrandvorrichtung zwischen Startrampe und Wasserturm im Perimeterkreis der Startrampe geleitet und abgefackelt. Dies
ist bei der Übertragung von Raumfährenstarts manchmal sichtbar. Zur Reduktion der Menge des verdampfenden Wasserstoffs
sind die Komponenten der Wasserstoffseite des Triebwerks bis zum Hauptwasserstoffventil wärmeisoliert.
Bei T - 05:20 Stunden beginnt die Füllung des Sauerstofftanks ebenfalls erst langsam, dann schnell. Da das
Sauerstoff-Vorventil der Triebwerke in dieser Phase geöffnet ist, wird Sauerstoff auch in die Triebwerke geleitet und
kühlt die Sauerstoffkomponenten. Er fließt durch Niederdruck- und Hochdruckturbopumpen und füllt die Sauerstoffseite
bis zu den beiden Vorbrennersauerstoffventilen und dem Hauptsauerstoffventil. Ein sehr kleiner Anteil des Sauerstoffs
wird durch die Zwischendichtungen der Turbopumpen drainiert und über eine Drainageleitung an der Düsenöffnung der
Triebwerke abgeleitet, wo er dann als weißer Dampf sichtbar wird. Der größte Sauerstoffanteil verläßt das Triebwerk
über den Pogo-Akkumulator und das Überlaufventil für Flüssigsauerstoff. Der Sauerstofffluß aller drei Triebwerke wird
über das Orbiter-Überlaufventil und den T-0-Anschluß zur Startrampe zurückgeleitet. Die Flußrate des Flüssigsauerstoffs
durch das Orbiter-Überlaufventil beträgt etwa 18 Pfund je Sekunde. Auch in dieser Phase werden einige Kontrollventile
von der Energieversorgung getrennt.
Vier Minuten vor dem Start beginnt die vierte und letzte Triebwerkssäuberung. Trockenes
Helium wird ab dem Hauptwasserstoffventil eingeleitet, um jede Gasansammlung, die bei der niedrigen Wasserstofftemperatur
gefrieren könnte, zu entfernen. Der MEC mißt durch entsprechende Sensoren Treibstofftemperaturen und -drücke. Zu Beginn
wird neben der Heliumspülung auch die Zwischendichtung der Sauerstoff-Hochdruck-Turbopumpe gespült und der fail-safe
Servoschalter und das pneumatische Shutdown-Ventil mit Energie versorgt. Nach 200 Millisekunden wird der Beginn der
Spülsequenz verifiziert. 10 Sekunden nach Beginn wird das Kammerkühlventil zu 98 % geöffnet. Die Spülsequenz No. 4
dauert bis T - 117 Sekunden.
Bei T - 3:25 Minuten beginnt der Schwenktest der Triebwerksdüsen. Während dieser Zeit wird
jeder Stellmotor der Düsen einem vorbestimmten Profil von Bewegungen unterzogen. Wenn alle Stellmotoren zufriedenstellend
arbeiten, werden die Düsen bei T - 3:03 Minuten in die Position für die Triebwerkszündung geschwenkt. In dieser Position
bleiben sie bis nach der Triebwerkszündung.
Bei T - 2:55 Minuten schließen die Countdown-Computer das Entleerungsventil für den
Flüssigsauerstofftank und der Tank wird bis 21 psig über Leitungen aus der Startrampe mit Helium druckbeaufschlagt.
Dieser Druck entspricht einem Triebwerkseinlaßdruck von 105 psia am Sauerstoffeinlaß.
Bei T - 1:57 Minuten endet die Spülsequenz No. 4. Nun wird auch das Entleerungsventil des
Wasserstofftanks geschlossen und der Tank mit Helium aus Tanks der Startrampe auf 42 psig druckbeaufschlagt.
Bei T - 40 Sekunden beginnt die "Triebwerk-bereit"-Sequenz. Es wird überprüft, ob
die Triebwerke ausreichend gespült und die Drücke der Treibstoffe und Steuergase aufgebaut sind. Wenn das Triebwerk
gesäubert wurde, alle Parameter akzeptabel sind und keine Fehler gefunden wurden, nimmt der MEC, bei
T - 31 Sekunden den Status "Triebwerk bereit" (engine ready) an. Die Statusanzeige, die zum Orbiter
übertragen wird, ändert sich, um anzuzeigen, daß alle Bedingungen zum Start des Triebwerks akzeptabel sind.
Bei T - 31 Sekunden startet der sog. Redundant Set Launch Sequencer (RSLS) der
Hauptcomputer der Raumfähre. Von nun an übernehmen die Computer der Raumfähre die weiteren Vorbereitungen
automatisch. Sie reagieren jedoch noch auf bestimmte Befehle der Countdown-Computer am Boden.
Bei T - 28 Sekunden gibt der RSLS nochmals das Kommando für die Bewegung der Triebwerksdüsen
in die Position für die Zündung, um eventuelle Abweichungen zu korrigieren.
Bei T - 12,5 Sekunden werden die Pogo-Rezirkulierungsventile (PV 20, 21) geöffnet,
um die Pogo-Rückflußleitung bis zum Schließen des Überbord-Entleerungsventils (PV 19) bei T - 9,4 Sekunden
zu kühlen. Dadurch wird der Entleerungsfluß aus den Triebwerken bis zum Triebwerksstart kontrolliert
(64).
Bei T - 10 Sekunden ist die Kühlungssequenz der Triebwerke abgeschlossen.
Als letztes erforderliches Kommando der Bodenkontrolle geben die Computer des Firing Rooms (GLS) das "Go
for Main Engine Start".
Bei T - 9,7 Sekunden wird das Verbrennungssystem für eventuell auf der Startrampe freigesetzten
Wasserstoff gezündet. Dies ist sichtbar an den von der Seite der Startrampe einschießenden glühenden Funken.
Bei T - 9,5 Sekunden senden die Hauptcomputer der Raumfähre das "Start ermöglicht"-Kommando
an den MEC. Der MEC schließt daraufhin die beiden Entleerungsventile und wartet auf das Startkommando, das bei T - 6,6 Sekunden ausgegebene wird.
Bei T - 9,5 Sekunden werden die Wasserstoffvorventile geöffnet. Die Sauerstoffvorventile
sind bereits zur Kühlung der Triebwerke offen.
Bei T - 6,6 Sekunden geben die Shuttle-Hauptcomputer den Triebwerksstartbefehl aus.
Die Triebwerke werden daraufhin im Abstand von 120 Millisekunden gezündet. Zuerst startet Triebwerk No. 3, dann
No. 2 und zuletzt Triebwerk No. 1.
In einer ausgeklügelten Startsequenz beginnen die Triebwerke, zu arbeiten. Dabei müssen die
entsprechenden Ventile zu exakt festgelegten Zeiten eingestellt werden, damit die Triebwerke nicht beschädigt werden.
Die Entwicklung der Startsequenz nahm einen längeren Zeitraum der Triebwerkstestung im Stennis Space Center, Mississippi
in Anspruch.
Bei T - 2 Sekunden haben alle Triebwerke 90 % Schubleistung erreicht. Die Triebwerksdüsen
werden jetzt in die Liftoff-Position geschwenkt.
T - Zero: Liftoff
Dann, bei T - Zero, zünden die Feststoffbooster. Innerhalb von 0,40 Sekunden hebt das
Space Shuttle ab und ist nach 8,5 Minuten im Orbit: das Drama hat für die Boeing-Ingenieure eine Ende. Nur für
das Shuttle und die Astronauten ist dies erst der Beginn der Mission.
Die folgende Tabelle gibt die Ereignisse an den Haupttriebwerken während des Countdowns wieder.